Anlässlich des zweiten Lockdown im Winter 2021 laden wir zu einer dreiteiligen Wanderung durch Berlin und Brandenburg ein. Für viele Künstler ist es immer wieder anregend, die unterschiedlichen Facetten der Stadt in subjektivem Blickwinkel festzuhalten. Und Betrachter können so bekannte Orte vielleicht auf ganz neue Weise sehen oder bisher nicht wahrgenommene Gebiete entdecken.
Wir starten zum ersten Rundgang in Mitte, laufen westwärts bis nach Charlottenburg und kommen dann in einem großen Bogen über Schöneberg und Kreuzberg wieder zurück. Die zweite Tour wird uns in zwei Wochen aus der Stadt hinaus von Potsdam bis ins Oderbruch führen. Und abschließend geht es von Weißensee über Prenzlauer Berg bis nach Köpenick .
Los geht’s am Alex, vorbei an der Marienkirche in Richtung „Unter den Linden“. Grafisch von Wolfgang Leber betrachtet, erscheint der Blick über Dächer, mit immerhin einem kleinen Stück blauen Himmel, bis zum Fernsehturm lohnenswert. Viele Arbeiten von Wolfgang Leber spielen in Berlin, aber direkt erkennbare Orte, wie auch die Nationalgalerie, findet man selten. Arno Mohrs enge Verbindung zu Berlin kommt da viel direkter daher. Er spazierte oft durch die Stadt, saß dann mit seiner Zigarre gerne in Cafés, beobachtete die Leute. Vor dem Dom biegen wir rechts ab und haben die Perspektive, die sowohl Mohr als auch Leber gezeichnet haben.
Wir überqueren die Museumsinsel, folgen der Spree in Richtung Friedrichstraße und sehen bald die Weidendammer Brücke. Auf der Radierung von Ursula Strozynski strahlt sie Ruhe und Beständigkeit aus – im Gegensatz zum Bahnhof Friedrichstraße. Ulrike Hahn bannt das Kommen und Gehen in flirrende Strukturen. Berlin fügt sich aus Gegensätzen zusammen.
Am Pariser Platz halten wir inne und haben eigentlich Lust, den Bilderkeller der Akademie der Künste zu besuchen. Harald Metzkes und Werner Stötzer gehörten Ende der 1950er Jahre zu den Meisterschülern, die die Kellerräume für legendäre Faschingsfeiern ausmalten. Es war bewegend, als wir 2019 gemeinsam mit Harald Metzkes dort waren. Offensichtlich hat der Besuch bei ihm die Erinnerungen lebendig werden lassen – er malte eine Leinwand zur Entstehung der Fasching-Kellers.In der Mitte arbeitet der Bildhauer Werner Stötzer an einer Gipsfigur. Es dauerte nicht lange, bis er am Stein seine unverkennbare Handschrift entwickelte. Später unterwies er an der Akademie selbst Meisterschüler.
Wir verlassen den Platz durch das Brandenburger Tor und greifen Harald Metzkes‘ Blick zum Reichstag auf. Das Aquarell zeigt Politiker, die es gar nicht erwarten können, in das Reichstagsgebäude einzufliegen, obwohl die Restaurierung noch im Gange ist. Dann geht es weiter durch den Tiergarten in Richtung Kulturforum – ein Areal, das für die Malerin Ulrike Pisch immer wieder anregend ist. Von der Philharmonie schauen wir auf die Baustelle des zukünftigen Museums des 20. Jahrhunderts, freuen uns auf die Neueröffnung der Nationalgalerie im kommenden Sommer und flanieren in Richtung Bahnhof Zoo.
Viele Arbeiten von Reinhard Stangl haben vor allem die nächtliche Atmosphäre dieser Gegend eingefangen. Wenn Laternen und Scheinwerfer ihre Linien in den dunklen Himmel zeichnen, wirkt Berlin eigentlich wie eine Weltstadt… Nun bewegen wir uns nach Schöneberg und begegnen zahlreichen Motiven von Ulrike Hahn – Gleisdreick, Matthäi Kirchhof, Bülowstraße, Viktoriaplatz. Sie betont den großstädtischen wie auch den intimen Charakter der Stadt. Von der Langenscheidtbrücke sieht man hinunter auf eine Bahntrasse. Sie wurde von der Fotografin Sarah Straßmann vor vielen Jahren aus einer anderen Perspektive festgehalten.
Der Weg führt uns nach Kreuzberg zum Mariannenplatz und von dort den Bethaniendamm entlang zum Engelbecken, einer kleinen Oase mitten in der Stadt. Jetzt ist es nicht mehr weit zum Märkischen Museum, also bis zu der Gegend, in der Berlin gegründet wurde. Hier kommt man um Blätter von Arno Mohr nicht herum. Es scheint als hätte Kurt Tucholsky seinen Satz – Der richtige Berliner stammt entweder aus Posen oder aus Breslau – direkt für den tatsächlich aus Posen stammenden Mohr geschrieben. Die Spreeangler fühlten sich sicher nicht gestört, wenn der bescheidende Künstler neben ihnen zeichnete. Es gibt viele Radierungen und Zeichnungen von Arno Mohr am Wasser – nur in Berlin musste es sein.
Noch sind wir in Berlin, genauer gesagt im Südwesten der Stadt und biegen in Wannsee nach rechts zur Liebermann-Villa ab. Wer hier noch nicht war, kennt zumindest die Gartenbilder von Max Liebermann. Ob es Mut erfordert, heute genau diesen Garten zu malen? Vor anderthalb Jahren hat es Ulrich Gleiter während eines Arbeitsaufenthaltes in Potsdam getan. Und wie wir meinen erfolgreich.
Nach diesem kleinen Abstecher geht es über die Glienicker Brücke hinein nach Potsdam, wir durchqueren die Stadt und spazieren durch den Park Sanssouci. Am Triumphtor vorbei laufen wir am Schloß und den Neuen Kammern entlang bis zur Orangerie – ganz wie es Ulrich Gleiter möglicherweise auch getan hat. Schnell noch eine Stippvisite im Neuen Garten am Heiligen See. Dort finden wir die von Mike Bruchner gemalte Pyramide, die im 18. und 19. Jahrhundert zur Lagerung des Eises für den Sommer diente.
Nun verlassen wir Potsdam in Richtung Norden, besuchen Sacrow mit seiner schönen Persius-Kirche, das Gutshaus in Neukladow und fahren dann ins Havelland. Spätestens jetzt ist es Zeit, an den Dichter Theodor Fontane zu erinnern, der u. a. mit den „Wanderungen“ der Region ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Harald Metzkes ehrt den Dichter auf seine Weise und rahmt ihn mit dem Personal seiner Geschichten ein.
Entlang der Havel genießen wir das flache Land, den ruhigen, breiten Fluß mit den Buchten und Fließen, den baumbestandenen Ufern – Ulrike Pisch hat sich von dieser Landschaft im vergangenen Jahr inspirieren lassen. Rheinsberg sollten wir nicht verpassen – Ort, Schloss und See dienten sowohl Fontane als auch Tucholsky als Kulisse.
Im Anschluss geht es in einem großen Bogen in Richtung Osten, durch weitflächige Kiefernwälder, Seen blinken und Rapsfelder leuchten – eine Stimmung, die immer wieder auf den Brandenburger Landschaftsbildern von Reinhard Stangl aufkommt.
Wir durchqueren nun die östliche Uckermark, das hügelige und karge Land, mit Arbeiten von Hans-Otto Schmidt. Seine Beziehung und die Bilder zu dieser Landschaft sind wie die Uckermark selbst – klar, selbstverständlich und direkt.
Angekommen im Oderbruch, öffnen weite Wiesen den Blick über den Strom, man sieht Wolken ziehen, Wetter formiert sich.
Ein ganz anderes Bild des Flusses bieten hingegen die „Komödianten an der Oder“ von Harald Metzkes. Die Oder erscheint als breiter Strom mit großen Schiffen. Aus den an dieser Grenze üblichen schwarzrotgoldenen und rotweißen Grenzpfosten werden bei ihm kurzerhand Badehäuser und Zelte für die Komödianten. Goldoni und seine Gefährten nehmen das Flussufer fröhlich feiernd in Besitz.
Unterwegs im Oderbruch ist man das zugleich auch in dem historischen Landstrich Lebus – dem zentralen Handlungsort des ersten Romans von Fontane “Vor dem Sturm“. Ingar Krauss zeigt mit seiner Reihe “Oderbruch“ vielleicht auch jene dort beschriebenen verwunschenen Orte. Diese markante, von zahllosen Wassergräben durchzogene Kulturlandschaft ist durch Trockenlegung der Überflutungsgebiete der Oder im 18. Jahrhundert entstanden. Jetzt ist es nicht mehr weit bis zu Sylvia Hagen. Sie arbeitet seit vielen Jahren im Oderbruch. Ihre Figuren aus Terrakotta und Bronze haben formal oft landschaftliche Bezüge, ja scheinen von der schroffen Gegend auch geprägt.
Auf dem Weg zurück nach Berlin kommen wir in Altlandsberg vorbei. Harald Metzkes ist sowohl der Stadt als auch der Landschaft dort seit vielen Jahren verbunden.
Jetzt geht es mehr oder weniger schnurgerade zurück nach Berlin.
Tour 3: Von Berlin-Weißensee über Prenzlauer Berg nach Köpenick
Zum letzten Teil der Wanderungen treffen wir uns an der Kunsthochschule Weißensee. Mit ihr fühlen wir uns auf mehrfache Weise verbunden, wurden hier doch seit 1946 Generationen von Berliner Künstlern geprägt. Arno Mohr, Werner Stötzer, Wolfgang Leber und Konrad Knebel haben in Weißensee gelehrt. Letzterer hat hier auch studiert, wie auch Sylvia Hagen, Michael Jastram, Ulrike Hahn, Denise Richardt und Klaus Schiffermüller. Nicht weit entfernt befindet sich der namensgebende Weiße See, von Ulrike Pisch geheimnisvoll bei Nacht festgehalten. Fast wie ein Pendant malte sie den nahen Orankesee bei Sonnenschein – mit südlichem Flair. Und auch die Bauten von Bruno Taut in der Buschallee haben sie inspiriert.
Auf dem Weg in Richtung Prenzlauer Berg sehen wir in der Ferne die Bornholmer Brücke. Dieser Grenzübergang wurde als erster in der Nacht des 9. November 1989 geöffnet. Ursula Strozynski war es wichtig, kurze Zeit später die Erinnerung an den ehemaligen Todesstreifen festzuhalten.
Wir laufen über die neue Fussgängerbrücke in das Gleimviertel zur Schönhauser Allee und kommen am fast einhundert Jahre alten Kino Colosseum vorbei. Leider steht offensichtlich fest, dass es nicht mehr öffnen wird. Der Blick auf dem wunderbaren Foto von Ingar Krauss hat sich wohl niemandem außer ihm jemals geboten.
In Prenzlauer Berg wohnten und arbeiteten vor allem bis in die 1990er Jahre zahlreiche Künstler, die immer wieder Straßenzüge, Brücken und die charakteristischen Brandmauern porträtiert haben.
Ursula Strozynski zeichnet überzeugende Linien, konzentriert auf die wesentlichen Formen – und gibt überraschenderweise gerade allein dadurch Stimmungen wieder.
Jeder lebte und malte seinen Prenzlauer Berg-Kietz auf eigene Weise. Sieht man Bilder von Konrad Knebel, Hans-Otto-Schmidt und Aquarelle von Harald Metzkes nebeneinander, handelt es sich scheinbar um völlig verschiedene Orte.
Nur eines haben diese Berlin-Bilder der drei Künstler – und übrigens auch mit den Blättern von Ursula Strozynski meist gemeinsam – sie sind menschenleer.
Konrad Knebel spürt den Lebensläufen von Häusern in ihren Fassaden nach. Deshalb sind die renovierten, glatten Gebäude, die uns heute begegnen, kein lohnendes Motiv für ihn. Die Bilder von Hans-Otto Schmidt strahlen eine liebevolle Sanftheit und fast etwas Dörflich-Vertrautes aus. Gleich um die Ecke von Hans-Otto Schmidt hatte viele Jahre Harald Metzkes sein Atelier. Den Wasserturm, der auf mehreren Bildern auftaucht, konnte er aus seinem Fenster in der Kollwitzstraße sehen. Seit Harald Metzkes vor etwa dreißig Jahren aus der Stadt gezogen ist, trifft sein Blick aus dem Atelierfenster auf den Garten und eine Weite, die ihn zu Landschaftsbildern anregen. Am Ende des zweiten Spaziergangs sind wir dort vorbeigekommen.
Da wir uns in Richtung Mitte bewegen, kommen wir an der Kulturbrauerei in der Sredzkistraße vorbei. Als Ursula Strozynski 1985 den imposanten Gebäudekomplex zeichnete, war in der ehemaligen Brauerei von Kultur und Kunst noch nichts zu spüren. Da ja momentan alles geschlossen ist, können wir ohne Aufenthalt unseren Weg fortsetzen.
Er führt uns über die Veteranenstraße – Kurt Buchwald friert mit der Kamera einen winzigen Moment ein und zeigt doch gleichzeitig das Verwischen der Konturen in der Bewegung, wie man sie im blitzschnellen Vorbeifahren wahrnehmen kann. Durch die Ackerstraße gelangen wir zur Torstraße. Die Bronze von Michael Jastram nimmt den Straßennamen zu recht wörtlich und erinnert somit daran, dass sie ursprünglich sogar an vier Stadttoren vorbeiführte.
Natürlich möchten wir nicht darauf verzichten, Sie an unserer Galerie vorbeizuführen. Die großen Schaufenster bekommen in dieser Schließzeit eine besondere Bedeutung. Zumindest durch die Scheibe kann man große Teile der aktuellen Ausstellung „Idee+Druck“sehen.
Parallel zur Oranienburger Straße schlendern wir durch den Monbijou-Park – eine beliebte Oase mitten in Mitte. Hier hatte die Kunsthochschule lange Jahre ein Gebäude für den Fachbereich Malerei. Gerade bemüht sie sich, das Atelierhaus zurück zu bekommen, in dem Arno Mohr bereits 1949 die Druckwerkstatt gründete. Er war ein geachteter Lehrer mit gewissen Prinzipien: „Bei mir herrscht Ordnung. Ein Atelier wird doch nicht künstlerischer, wenn alles herumliegt.“
Um in den Süden zu gelangen, entschließen wir uns am Hackeschen Markt die S-Bahn zu nehmen. Wir sehen mit Sarah Straßmann auf Brandmauern in Friedrichshain und fahren über den Bahnhof Ostkreuz. Insbesondere Brückenkonstruktionen kann Ursula Strozynski, zu unserer Freude, selten widerstehen. Auch das eine Erinnerung an frühere Zeiten – der Bahnhof ist heute komplett modernisiert.
Nach wenigen Stationen schauen wir aus dem Zug auf die Trabrennbahn Karlshorst. Rasende Jockeys und davor ein Stilleben – das gibt es nur auf einem Aquarell von Harald Metzkes. Jetzt sind wir schon fast in Köpenick, in dem wohl grünsten und wasserreichsten Bezirk. Hier könnten sich Terrakotta- und Bronze-Figuren von Robert Metzkes fragen, wo sie das Licht der Welt erblicken. Vielleicht hilft ein Blick auf eine Collage von Ulrike Pisch. Entlang der Spree kommen wir zu dem Punkt, in dem sie sich mit der Dahme vereint. Sylvia Hagen spielt im Titel mit dem Wort, entscheidet sich aber in der Form für eine wahrhafte Dame.
Wir beenden unsere Wanderungen durch Berlin und Brandenburg am Müggelsee. Wenn Arno Mohr zum Müggelsee fuhr, dann nannte er es „verreisen“. Er hat den See mit Badegästen und Booten und balancierende Kellner auf voll besetzten Terrassen immer wieder gezeichnet. Das Naheliegende, ganz Alltägliche wird durch seinen Blick zum Besonderen.
So divers die Motive und Handschriften auch sind – aus allen Arbeiten spricht eine große Verbundenheit zu Berlin und seiner Umgebung.